Bundesländerspezifische Versorgungsunterschiede von Epilepsiepatienten in Deutschland

Trotz einheitlicher Versorgungsrichtlinien mit bundeseinheitlichen Vorgaben und Strukturen zeigen sich in der Analyse der durch den Bund zur Verfügung gestellten Patientenzahlen signifikante Unterschiede in der Versorgung von Personen mit einer Epilepsie auf Ebene der einzelnen Bundesländer, wobei die Gesamtfallzahlen stationärer Behandlungen aufgrund einer Epilepsie seit dem Jahr 2016 insgesamt rückläufig waren.

Im bundesweiten Vergleich zeigt sich ein auffallendes Gefälle zwischen den „neuen Bundesländern“ gegenüber den „alten Bundesländern“, das auch nach altersadaptierter Standardisierung nachzuweisen war. Die stationären Krankenhausfälle beinhalten hierbei einerseits die elektiven Aufnahmen, die einen Rückschluss auf das Behandlungsangebot eines Bundeslandes zulassen können. Andererseits spiegelt die Zahl der notfälligen stationären Aufnahme mit Diagnose einer Epilepsie die lokale Struktur der Notfallversorgung und Aufnahmepraxis eines Krankenhauses, einer Stadt oder eines Bundeslandes wider. Hierzu passend wurde in Deutschland zuletzt eine generell erhöhte Rate an notfälligen Hospitalisationen von Epilepsien mit einem Anfallsrezidiv beschrieben, von denen ein relevanter Anteil auch ambulant oder kurzstationär hätte behandelt werden können und deren Ursache die Autoren unter anderem in einem Mangel an landesweiten Leitlinien zur Notfallversorgung von Epilepsiepatienten erklärt sahen [17]. Eine Differenzierung zwischen elektiven und notfälligen stationären Krankenhausfällen war anhand der vorliegenden Daten allerdings nicht möglich und limitiert eine differenziertere Auswertung der bundeslandspezifischen Unterschiede. Generell wiesen Bundesländern mit einer besonders hohen stationären Fallzahl wie Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und das Saarland eine vergleichsweise geringere Ausstattung mit Epilepsiezentren, Schwerpunktpraxen und Epilepsieambulanzen auf (Tab. 1; Abb. 4). Demgegenüber zeigte sich in Bundesländern mit einer geringen stationären Krankenhausfallzahl wie Baden-Württemberg eine ebenfalls hohe Dichte an spezialisierten Epilepsieeinrichtungen. Angesichts der hohen stationären Behandlungskosten kann durch eine bessere Ausstattung an spezialisierten Zentren und Ambulanzen die Ambulantisierung der Behandlung von Epilepsiepatienten unterstützt werden [18, 19]. Hierzu passend, zeigte Sachsen innerhalb der „neuen Bundesländer“ die geringste – wenn auch nicht signifikante – stationäre Fallzahl und gleichzeitig die höchste Anzahl an spezialisierten Zentren.

Ähnliche Ergebnisse fanden sich in der Betrachtung der Differenz stationärer Behandlungen bezogen auf den Wohn- und Behandlungsort, anhand dessen abgeschätzt werden kann, inwiefern die angefallenen stationären Krankenhausbehandlungen in demselben Bundesland erfolgten, in dem die Patienten auch gemeldet waren. Dies kann als indirektes Maß für die stationären Behandlungskapazitäten und -attraktivitäten eines Bundeslandes interpretiert werden und kann sowohl durch Aspekte der räumlichen und zeitlichen Verfügbarkeit als auch der qualitativen Ausstattung und Reputation der Einrichtungen beeinflusst werden [20]. Ein relatives Defizit an bundeslandinternen stationären Behandlungen zeigte sich insbesondere in den Bundesländern Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz sowie in geringerer Ausprägung in Thüringen und kam über den Beobachtungszeitraum relativ konstant zur Darstellung (Abb. 3). Demgegenüber wiesen die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sowie in geringem Ausmaß auch Baden-Württemberg eine übermäßige Versorgung von Patienten, die ihren Wohnort nicht in diesem Bundesland hatten, auf. Eine mögliche Erklärung für die beschriebene Minder- bzw. (kompensatorische) Mehrversorgung einzelner Bundesländer könnten ebenfalls Unterschiede in der epilepsiespezifischen Versorgungsstruktur im Sinne von Epilepsiezentren, Schwerpunktpraxen und Epilepsieambulanzen darstellen, wodurch zusätzliche Kapazitäten in Krankenhäusern zur stationären Behandlung geschaffen werden können und somit eine zusätzliche Versorgung von Patienten ohne dortigen Wohnort ermöglicht werden kann. Dies kann insbesondere in kleinen Bundesländern mit einem weiten Einzugsgebiet und unmittelbarer Nähe zu Ländergrenzen zu einem vermehrten Einstrom in die Ballungsregionen führen und bedarf insbesondere in diesen Regionen einer besonders leistungsstarken Versorgungsstruktur. Hierzu passend, konnten versorgungsmedizinische Studien zeigen, dass Personen mit Epilepsie bereit sind, trotz ihrer meist relevant eingeschränkten Mobilität auch weitere Strecken zurückzulegen, um eine adäquate Behandlung bzw. Beratung zu erhalten [21]. Eine qualitative Beurteilung der spezialisierten Zentren innerhalb der einzelnen Bundesländer und eine Kontextualisierung mit einer ggf. relativen stationären Mehr- oder Minderversorgung waren anhand der vorliegenden Daten weder möglich noch das Ziel dieser Studie.

In der Trendanalyse zeigte sich ein signifikanter Abfall der stationären Krankenhausfälle im Jahr 2020, den wir maßgeblich auf den Effekt der COVID-Pandemie zurückführten und der sich mit der deutschlandweiten Abnahme aller Krankenhauseinweisungen (unabhängig der zugrunde liegenden Erkrankung) als auch den Vorstellungszahlen von Personen mit einer Epilepsie im Bundesland Hessen deckte [22, 23]. Zuvor zeigte sich in der Trendanalyse ein Anstieg der Krankenhausfallzahlen von 2000 bis 2016 mit einer nachfolgenden Trendumkehr ab 2017 (Supplements, Abb. 1). Neben einer Veränderung in der Altersstruktur Deutschlands, deren Anstieg über das letzte Jahrzehnt zunehmend abflachte, können Unterschiede in der ambulanten und stationären Versorgung über die Jahre 2000 bis 2020 angenommen werden [24, 25]. Unter anderem kommt hierfür ein verzögerter Effekt durch die Einführung der diagnosebezogenen Fallgruppen (Diagnosis Related Groups [DRG]) infrage, die durch eine Ökonomisierung der Krankenhausleistungen auch eine Umstrukturierung der Versorgung zu mehr ambulanten und teilstationären Aufenthalten zur Folge hatte [26]. Durch einen unterschiedlichen Grad der Ambulantisierung zwischen den Bundesländern können sicherlich auch Unterschiede in der stationären Krankenhausfallzahl mitbedingt sein, wenngleich sich der oben genannte Trend über alle Bundesländer abgrenzen ließ [21].

Die hier statistisch aufgezeigten, seit ca. 20 Jahren weitgehend konstanten, bundeslandspezifischen Versorgungsunterschiede können einen Einfluss auf die tatsächliche Versorgung von Epilepsiepatienten haben und bedürfen daher einer weiteren Evaluation. Aufbauend auf diesen Daten scheint insbesondere ein Ausbau der stationären epilepsiespezialisierten Versorgungsstrukturen, beispielsweise in Bundesländern mit einer relativen Minderversorgung der Krankenhäuser wie in Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, empfehlenswert. Unabhängig hiervon sind zudem der konsequente Ausbau sowie die bundesweite Verfügbarkeit von spezialisierten Epilepsieberatungsstellen unabdingbar, die akzeptierte und nachweislich hilfreiche Institutionen für an Epilepsie erkrankten Menschen in den unterschiedlichsten Krankheitsstadien darstellen [27]. Inwieweit der Ausbau von telemedizinischen Angeboten hier den Versorgungsbedarf decken kann, wird sich erst in einigen Jahren abschätzen lassen [28,29,30,31,32].

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