Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen: allgemeine Behandlungsgrundsätze und konservatives Management

Die komplexe Ätiologie von Übergewicht und Adipositas erfordert ein multifaktorielles therapeutisches Vorgehen, das diätetische Beratung, Anleitung zu körperlicher Aktivität, kognitive Verhaltenstherapie, psychologischen und sozialarbeiterischen Support und unterstützende medizinische Therapien (pharmakologisch, chirurgisch) umfasst. Für das praktische Management von Adipositas propagieren verschiedene Fachgesellschaften [31, 32] das „5A“-Modell, das ursprünglich für die Raucherentwöhnung entwickelt wurde, als evidenzbasierten Rahmen für verhaltenstherapeutische Interventionen [33]. Es umfasst die folgenden 5 Stufen (Abb. 3):

1.

„Ask“ – Ansprechen: Zu Beginn muss geklärt werden, ob die/der PatientIn bereit ist, sich mit der eigenen Gewichtssituation auseinanderzusetzen. Aufgrund von Diskriminierung, Frustration, Schuldgefühlen oder negativen Erfahrungen im persönlichen oder medizinischen Umfeld reagieren Betroffene mitunter desinteressiert oder ablehnend, wenn sie auf die Notwendigkeit abzunehmen angesprochen werden. Voraussetzung für den Erfolg der Intervention ist aber, dass die betroffene Person zur Verhaltensänderung bereit ist. PatientInnen, die noch nicht mit einer gewichtsreduzierenden Therapie beginnen wollen oder können, sollten darauf hingewiesen werden, dass Beratung und Unterstützung für sie zur Verfügung stehen, und – ggf. durch Vereinbaren eines weiteren Beratungstermins – motiviert werden, die Gewichtsintervention zu einem späteren Zeitpunkt zu beginnen. Dazu sollten Kontaktdaten sowie Informationsmaterialien zu den Vorteilen von Gewichtsreduktion, gesunder Ernährung und erhöhter körperlicher Aktivität ausgehändigt werden. Der Umgang mit den Betroffenen und ihrem Umfeld soll respektvoll, empathisch und frei von Kritik und Vorurteilen erfolgen (Tab. 4, Empfehlungen 4.1).

2.

„Assess“ – Feststellen: Diese Stufe umfasst eine umfassende allgemeine und spezifische Anamnese, die Diagnose der metabolischen Situation und der damit assoziierten Gesundheitsrisiken und die Dokumentation der Gewichthistorie inklusive Abnehmversuche. Parallel dazu sollen die subjektive Gesundheitswahrnehmung und die diesbezüglichen Zielvorstellungen der PatientInnen erhoben werden. Schließlich sollen die Ursachen des Übergewichts und der Faktoren, welche die bisherigen Bemühungen zur Lebensstiländerung behindert haben, identifiziert werden (Tab. 4, Empfehlungen 4.2–4.4).

3.

„Advise“ – Beraten: Personen mit Übergewicht oder Adipositas sollen über ihr persönliches Gesundheitsrisiko aufgeklärt und dahingehend informiert werden, dass bereits moderater Gewichtsverlust den Gesundheitszustand spürbar verbessern kann, wobei auf die individuellen Wertvorstellungen der/des PatientIn fokussiert werden soll. Die PatientInnen sollen außerdem über die verschiedenen Behandlungsoptionen aufgeklärt werden. Die damit verbundenen Vorteile, Nachteile und Risiken und der von den PatientInnen zu leistende Beitrag zum Behandlungserfolg müssen verständlich gemacht werden.

4.

„Agree“ – Vereinbaren: Im Sinn eines „Shared decision-making“-Prozesses soll der/die PatientIn beim Festsetzen der Therapieziele und bei der Planung der Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele eingebunden werden. Geplante Interventionen sollen besprochen und das Einverständnis der betroffenen Person eingeholt werden. Wichtig ist hier, dass die vereinbarten Ziele auch realistisch sind; die PatientInnen entsprechend zu beraten, ist auch Aufgabe der involvierten Fachkräfte.

5.

„Assist“ – Unterstützen: Das Überwinden etablierter Verhaltensmuster und die Integration neuer Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten in den Alltag erfordern die Unterstützung aller involvierten Fachkräfte. Die PatientInnen sollen außerdem dahingehend beraten werden, welche Barrieren der Lebensstiländerung im Weg stehen und wie diese überwunden werden können. Partner bzw. Bezugspersonen sollen, soweit möglich, unterstützend in die Betreuung miteinbezogen werden (Tab. 4, Empfehlungen 4.1).

Abb. 3figure 3

Schematischer Leitfaden für das Management von Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen, in Anlehnung an rezente internationale Praxisempfehlungen [31, 42]

Im Folgenden wird auf das konservative Management (Lebensstilintervention, medikamentöse Therapie) von Übergewicht und Adipositas – ohne Berücksichtigung monogenetisch determinierter Ätiologien [11] – bei Erwachsenen eingegangen. Die Indikationen zur therapeutischen Intervention sind in Tab. 4, Empfehlungen 4.5, zusammengefasst. Zur Indikation und präoperativen Planung bariatrisch- bzw. metabolisch-chirurgischer Eingriffe sowie zum internistischen Management nach erfolgter Operation hat die Österreichische Adipositas Gesellschaft (2023) eigene Konsensusempfehlungen herausgegeben [34, 35]. Für die Durchführung metabolischer Operationen wird auf einschlägige Empfehlungen der Fachgesellschaften (z. B. [36]) verwiesen.

Therapieziele

Übergeordnete Ziele der Behandlung von Übergewicht und Adipositas sind die Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes und der Lebensqualität sowie die Prävention bzw. positive Beeinflussung gewichtsassoziierter Erkrankungen und Risikofaktoren (Tab. 2). Die grundlegende therapeutische Strategie zur Erreichung dieser Ziele ist die Umkehr der energetischen Dysbalance und in der Folge eine anhaltend negative Energiebilanz. Zur Therapieverlaufskontrolle eignen sich die Gewichtsentwicklung (Abnahme in kg und %), der Taillenumfang (Abb. 1) als Surrogat für die viszerale Fettmenge und die Ermittlung der Körperzusammensetzung (z. B. mittels BIA) [37]. Der Behandlungserfolg bemisst sich vorrangig nicht an der Gewichtsabnahme, sondern an PatientInnen-zentrierten Outcomes.

Die Therapieziele sind grundsätzlich individualisiert und unter Einbindung der betroffenen Person zu setzen, sie sollen realistisch und auf Nachhaltigkeit ausgelegt sein. Bei Personen ohne relevante Komorbiditäten kann, abhängig von den mentalen und psychosozialen Gegebenheiten, die Vermeidung einer weiteren Gewichtszunahme ein akzeptables Therapieziel darstellen. Klinisch relevante Gesundheitseffekte bis hin zur Verhinderung bzw. Remission gewichtsassoziierter Erkrankungen sind ab einer Gewichtsabnahme von 5–15 % des Ausgangsgewichts zu erwarten (Abb. 4; [38, 39]). Die Gewichtsintervention kann in diesem Fall auch dazu beitragen, die Intensität spezifischer Therapien (z. B. Antidiabetika, Antihypertensiva, Lipidsenker, Analgetika) zu reduzieren.

Abb. 4figure 4

Erforderliche Gewichtsreduktion, um positive Effekte auf Begleiterkrankungen von Übergewicht und Adipositas zu erreichen [38,39,40]

Neben der initialen Gewichtsreduktion ist die Verhinderung der erneuten Gewichtszunahme ein weiteres Therapieziel, das entsprechende Aufklärung und langfristige Betreuung erfordert [18].

Ernährungstherapie

Die nachhaltige Veränderung der Ernährungsweise ist ein essenzieller Bestandteil jeder Gewichtsintervention und erfordert ein strukturiertes Vorgehen unter Einbindung spezialisierter Ernährungsfachkräfte, die zur Beratung von krankheitsverdächtigen und kranken Personen berechtigt sind (DiätologInnen, ErnährungswissenschaftlerInnen mit Ergänzungsstudium). Vor Therapiebeginn müssen die bisherigen Ernährungsgewohnheiten erfasst und allfällige Essstörungen (Tab. 2), die bei Menschen mit Adipositas signifikant häufiger auftreten als in der Allgemeinbevölkerung [40, 41], abgeklärt werden. Im nächsten Schritt wird mithilfe eines Ernährungsprotokolls das Ernährungsverhalten quantitativ (Welche Kalorienmengen werden zugeführt?) und qualitativ (Was, warum und in welchem Kontext wird gegessen?) erfasst. Dadurch können Problembereiche (z. B. der Energiegehalt vermeintlich gesunder Lebensmittel wie Fruchtsäfte) identifiziert und bewusst gemacht werden. Zudem liefert das Ernährungsprotokoll Ansatzpunkte für die kognitive Verhaltenstherapie, um Ernährungsmuster wie kompensatorisches oder emotionales Essverhalten aufzubrechen [26, 42].

Voraussetzung für die Gewichtsreduktion ist eine negative Energiebilanz bezogen auf den aktuellen Energiebedarf (Gesamtumsatz; Tab. 3 und 4, Empfehlungen 4.7). Kalorienrestriktionen müssen individualisiert unter Einbezug von Ernährungsgewohnheiten, dem aktuellen körperlichen Aktivitätslevel, Komorbiditäten und vorangegangenen Diätversuchen festgelegt werden. Eine Reduktion der aktuellen Energiezufuhr um 15–30 % ist anzustreben [26]. Dabei kann bei einem Energiedefizit von 500–600 kcal pro Tag mit einer durchschnittlichen Gewichtsreduktion von 0,5 kg/Woche (2 kg/Monat) gerechnet werden [43].

Allgemein akzeptierte Maßnahmen zur Reduktion der Energiezufuhr inkludieren die Beschränkung der Portionen und Portionsgrößen pro Mahlzeit, die Verwendung weniger energiedichter Nahrungsmittel mit höherem Ballaststoffanteil bei verringertem Gehalt an Fett (v. a. gesättigten Fettsäuren) und Kohlenhydraten (v. a. raffinierte Monosaccharide und zuckerhaltige Getränke). Diese Vorgaben können z. B. im Rahmen von balancierten Ernährungsformen wie der „mediterranen Ernährungsweise“ umgesetzt werden. Die Studienlage zur gewichtsreduzierenden Effizienz spezifischer Ernährungsformen ist uneindeutig. Für den Gewichtseffekt entscheidend ist aber nicht so sehr die Makronährstoffzusammensetzung („low carb“, „low fat“, „high protein“ etc.) als die nachhaltige Energiereduktion und damit auch die Akzeptanz und Umsetzbarkeit der Ernährungsform. Somit sind persönliche Präferenzen, das soziale Umfeld, finanzielle und zeitliche Ressourcen und außerdem Komorbiditäten und Risikofaktoren bei der Anleitung zur Ernährungsumstellung miteinzubeziehen. Der Einsatz von „Formula-Diäten“ mit niedrigem („low calory diet“ [LCD]; 800–1200 kcal/Tag) oder sehr niedrigem („very low calory diet“ [VLCD]; < 800 kcal/Tag) Kaloriengehalt kann in bestimmten klinischen Situationen angebracht sein. Die VLCD ist jedoch nicht für schwangere oder stillende Frauen, ältere Menschen sowie für Kinder und Jugendliche geeignet [26, 42, 43].

Die Ernährungstherapie sollte entsprechend multidisziplinär durch qualifizierte Fachkräfte durchgeführt werden.

Bewegungstherapie

Körperliche Aktivität unterstützt die Ernährungstherapie zur Negativierung der Energiebilanz einerseits durch die Energie, die für die Muskelarbeit aufgewendet wird, andererseits durch Steigerung des Grundumsatzes (Tab. 3). Zu unterscheiden ist die Steigerung körperlicher Aktivität im Alltag von gezielten Trainingsmaßnahmen zur Verbesserung der Muskelmasse und der kardiorespiratorischen Fitness [23, 42]. Vermehrte Alltagsaktivität wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl aus, erleichtert das Überwinden etablierter Verhaltensmuster und den Einstieg in die Trainingstherapie. Die Steigerung der kardiorespiratorischen Fitness als Folge von Ausdauertraining verbessert unabhängig vom Effekt auf das Körpergewicht den Glukose- und Lipidstoffwechsel und reduziert das kardiovaskuläre Risiko [43]. Krafttraining erhöht durch Zunahme der Muskelmasse den Grundumsatz, wirkt stärker als Ausdauertraining auf das Körpergewicht und verbessert die Gelenk- und Wirbelsäulenstabilität [44].

Im Rahmen der Lebensstilintervention sollte der Umfang der körperlichen Aktivität zumindest 150–300 min pro Woche bei mittlerer Aktivität, aufgeteilt auf 5 bis 10 Einheiten zu je 30 min, betragen (Tab. 4, Empfehlungen 4.8). Für eine effiziente Gewichtsreduktion müssen pro Woche 1000–2000 kcal an Bewegungskalorien verbraucht werden. Ausdauer- und Krafttraining sollen nach Möglichkeit kombiniert werden. Krafttraining ist zu bevorzugen, wenn aus Gewicht- und Konditionsgründen ein sinnvolles Ausdauertraining nicht möglich ist. Insbesondere bei älteren und kardiorespiratorisch eingeschränkten Personen ist Krafttraining aufgrund des geringeren Trainingsumfanges und -aufwandes zudem einfacher umzusetzen [45].

Die konkrete Ausgestaltung der Bewegungstherapie (Auswahl der geeigneten Bewegungsform; Frequenz, Intensität und Dauer der Aktivität) muss an die individuellen Anforderungen, Möglichkeiten und Fähigkeiten der PatientInnen angepasst und durch Fachkräfte, die zur medizinischen Trainingstherapie o. Ä. befugt sind (z. B. PhysiotherapeutInnen, SportwissenschaftlerInnen mit entsprechender Weiterbildung), geplant und überwacht werden. Besonderes Augenmerk ist auf die Vermeidung von Verletzungen zu legen, da verletzungsbedingte Pausen bereits erzielte Trainingsfortschritte wieder zunichtemachen können. Zu achten ist darüber hinaus auf die Umsetzbarkeit der geplanten Aktivitäten im Alltag. Bewegungsanleitungen sollen möglichst detailliert besprochen werden. Im Beratungsgespräch soll vermittelt werden, welche konkreten Ziele mit den einzelnen Maßnahmen verfolgt werden, und welche Effekte dadurch von den PatientInnen erwartet werden können [42, 45].

Die Bewegungstherapie sollte entsprechend multidisziplinär durch qualifizierte Fachkräfte durchgeführt werden.

Verhaltenstherapie

Verhaltenstherapeutische Unterstützung ist für die nachhaltige Gewichtskontrolle wesentlich. Die Planung und Umsetzung der Interventionen soll von Personen aus Gesundheitsberufen mit psychotherapeutischer Kompetenz (z. B. klinische PsychologInnen, GesundheitspsychologInnen, PsychotherapeutInnen) durchgeführt werden (Tab. 4, Empfehlungen 4.9; [46]). In der psychologischen Aufklärung (Psychoedukation) soll den PatientInnen das nötige Wissen vermittelt werden, um sich auf realistische Therapieziele einigen und diese langfristig verfolgen zu können. Durch Selbstbeobachtung und Verhaltensanalyse werden problematische Verhaltensweisen genauer erfasst. Dies kann durch Strategien zur Reizkontrolle (Stimuluskontrollstrategien), Stressbewältigung/Stressmanagement und/oder sozialer Unterstützung erfolgen. Elemente der kognitiven Therapie helfen, problematischer Schemata zu rekonstruieren und Probleme zu lösen [47, 48].

Verhaltenstherapeutische Maßnahmen sollen an die individuelle Situation angepasst sein und eine multifaktorielle Strategie verfolgen (Tab. 4, Empfehlungen 4.9; [48]). Die Planung und Umsetzung der Interventionen soll multidisziplinär von Personen aus Gesundheitsberufen mit psychotherapeutischer Kompetenz (z. B. klinische PsychologInnen, GesundheitspsychologInnen, PsychotherapeutInnen) durchgeführt werden.

Medikamentöse Therapie

Von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) sind derzeit 4 Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen für die Gewichtskontrolle zugelassen (Tab. 5): die GLP-1-RA Liraglutid 3 mg und Semaglutid 2,4 mg und außerdem Orlistat 60 und 120 mg sowie Bupropion/Naltrexon 78/7,2 mg. Die Indikation umfasst jeweils die unterstützende Gewichtskontrolle zusätzlich zu Lebensstilmaßnahmen bei Personen mit einem BMI ≥ 30 kg/m2 oder aber mit einem BMI ≥ 27 kg/m2 und zumindest einer gewichtsassoziierten Erkrankung (Orlistat: BMI ≥ 28 kg/m2 mit begleitenden Risikofaktoren). Liraglutid und Semaglutid sind ab 12 Jahren zugelassen, während der Einsatz von Orlistat und Bupropion/Naltrexon auf Erwachsene beschränkt ist. Mit Ausnahme von Orlistat 60 mg sind alle Therapien rezeptpflichtig. Orlistat 120 mg soll in der Schwangerschaft mit Vorsicht angewendet werden, ansonsten sind alle genannten Therapien bei schwangeren und bei stillenden Frauen nicht empfohlen bzw. kontraindiziert.

Tab. 5 Für die Gewichtsreduktion bei Personen mit Adipositas oder Übergewicht und gewichtsassoziierten Erkrankungen zugelassene Arzneimittel (Stand: Juni 2023) [49,50,51,52,53]

Alle von der EMA zugelassenen gewichtsreduzierenden Therapien müssen hinsichtlich des Therapieansprechens evaluiert werden: Orlistat 120 mg, Liraglutid und Semaglutid müssen nach 12 Wochen unter maximaler Dosierung, Naltrexon/Bupropion nach 16 Wochen abgesetzt werden, sofern der Gewichtsverlust nicht ≥ 5 % des Ausgangsgewichts beträgt. In der Selbstmedikation mit Orlistat 60 mg soll ärztlicher Rat eingeholt werden, wenn es innerhalb von 12 Wochen zu keiner Gewichtsreduktion kommt [49,50,51,52,53].

Orlistat

ist ein spezifischer Inhibitor der gastrointestinalen Lipasen und hemmt die Hydrolyse von Nahrungsfetten in resorbierbare freie Fettsäuren im Magen und im oberen Dünndarm. Die Behandlung erfolgt in Kombination mit einer leicht hypokalorischen, fettreduzierten Ernährung, bis zu 3‑mal täglich zu den Hauptmahlzeiten [48, 50]. Klinische Studien weisen für Orlistat eine mittlere Gewichtsreduktion um 3,2 % des Ausgangsgewichts aus; die Wahrscheinlichkeit (ausgedrückt als Odds-Ratio), ≥ 5 % an Gewicht zu verlieren, liegt nach Metaanalyse der Studiendaten bei 2,7 [54]. Häufige Nebenwirkungen betreffen v. a. den Gastrointestinaltrakt: Bauchschmerzen und Diarrhö mit fettigem/öligem Stuhl [49, 50].

Bupropion/Naltrexon

Bupropion ist ein ursprünglich zur antidepressiven Behandlung und zur Raucherentwöhnung eingesetzter Inhibitor der neuronalen Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme, Naltrexon ein in der Therapie von Alkohol- und Opiatabhängigkeiten etablierter Opioidrezeptorantagonist. Die Wirkung der Fixkombination beruht auf der Aktivierung von anorexigenen Neuronen im Hypothalamus [51]. In klinischen Studien reduzierte Bupropion/Naltrexon das Gewicht im Durchschnitt um 4,1 % des Ausgangsgewichts, die Odds-Ratio für eine Reduktion um ≥ 5 % betrug 5 [54]. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Erbrechen, Obstipation sowie Schwindel und Mundtrockenheit. Bei nicht kontrollierter Hypertonie und bei schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankungen darf das Präparat nicht verwendet werden [51].

Liraglutid

Liraglutid ist ein rekombinantes Analogon des humanen Inkretinhormons GLP‑1 und in der Dosierung bis zu 3 mg/Tag zur Behandlung von Adipositas zugelassen [52]. In supraphysiologischer Konzentration verlangsamen GLP‑1 und GLP-1-Rezeptoragonisten die Magenmotilität und dämpfen über die Modulation neuronaler Regelkreise im Hypothalamus den Appetit und das Hungergefühl [55]. In den Zulassungsstudien im Rahmen des SCALE-Studienprogrammes kam es unter der Dosis von 3 mg/Tag innerhalb eines Jahres zu einem durchschnittlichen Gewichtsverlust von 5,7–8,0 % des Ausgangsgewichts. Außerdem zeigte eine Studie bei Menschen mit Prädiabetes, dass durch Liraglutid 3 mg das relative Risiko zur Entwicklung eines Typ-2-Diabetes um 79 % reduziert werden kann [56]. Liraglutid wird 1‑mal täglich subkutan injiziert. Zu den häufigsten Nebenwirkungen v. a. zu Therapiebeginn in den ersten 12 Wochen zählen Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, aber auch Obstipation, zudem können Cholelithiasis und Cholezystitis gehäuft auftreten. Bei Verdacht auf Pankreatitis ist die Behandlung abzusetzen und bei bestätigter Pankreatitis nicht wieder aufzunehmen [52].

Semaglutid

Semaglutid ist wie Liraglutid ein GLP-1-Analogon mit hoher Sequenzhomologie zum humanen Inkretinhormon, weist aufgrund weiterer Modifikationen aber eine deutlich längere Halbwertszeit und stabilere Plasmaspiegel auf und wird 1‑mal wöchentlich bis zu einer Maximaldosis von 2,4 mg subkutan injiziert [53]. Die Metaanalyse der Zulassungsstudien ergab eine mittlere Gewichtsreduktion von 11,4 % des Ausgangsgewicht und eine Odds-Ratio von 9,8 für eine Gewichtsabnahme um ≥ 5 % [54]. In den Zulassungsstudien erreichten zudem 51–64 % der PatientInnen mit Übergewicht oder Adipositas (26 % der PatientInnen mit Typ-2-Diabetes und BMI ≥ 27 kg/m2) eine Reduktion um ≥ 15 % des Ausgangsgewichts [57]. Semaglutid reduzierte in niedrigerer Dosierung (1 mg) bei Personen mit Typ-2-Diabetes schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse [58]. Die Ergebnisse einer kardiovaskulären Outcome-Studie mit Semaglutid 2,4 mg bei Menschen mit Adipositas (SELECT; NCT03574597) werden Ende 2023 erwartet. Das Nebenwirkungsspektrum von Semaglutid und ebenso das Vorgehen bei Verdacht auf bzw. bei bestätigter Pankreatitis entspricht jenem bei Liraglutid [52, 53].

Ausblick

Eine Erweiterung der therapeutischen Optionen ist aus heutiger Sicht v. a. aus der Gruppe der dualen Inkretinagonisten zu erwarten. Der für die Diabetestherapie bereits zugelassene duale GLP-1/GIP-Agonist Tirzepatid erreichte in Adipositasstudien Gewichtsabnahmen um bis zu 21 % des Ausgangsgewichts [59]. Weitere duale Rezeptoragonisten (z. B. GLP-1/Glukagon; GLP-1/Amylin, wie z. B. Semaglutid/Cagrilintid) [60] bzw. auch Triple-Agonisten (GLP-1/GIP/Glukagon, wie z. B. Retatrutid) [61] sind in Entwicklung.

Therapie von Begleiterkrankungen

Das Management von Begleiterkrankungen (Tab. 2) erfolgt unabhängig von der gewichtsreduzierenden Therapie entsprechend den jeweiligen Richtlinien. Medikamente mit gewichtsreduzierender bzw. gewichtsneutraler Wirkung sollen, soweit möglich und sinnvoll, gegenüber Medikamenten mit ungünstigem Einfluss auf das Körpergewicht bevorzugt werden. Die PatientInnen sollen hinsichtlich der Gewichtseffekte der verfügbaren Therapieoptionen beraten werden.

留言 (0)

沒有登入
gif